Über ihren Schatten springen (Teil 1)
Aufregung breitet sich sich in ihr aus. „Die Ungewissheit ist kaum auszuhalten„, denkt sie, während sie sich immer weiter in Richtung ihres Ziels bewegt. Ein Hotel, wirklich? Eigentlich hatte sie sich nicht an einem so unpersönlichen Ort mit ihm treffen wollen. Aber er war hartnäckig gewesen und hatte ihr den Reiz eines Treffens an einem Ort, der nichts über sie beide verriet wiederholt schmackhaft gemacht.
Eigentlich hatte Claire nur etwas Ablenkung gewollt als sie den Chat-Room ihres Datingportals betreten hatte vor knapp drei Wochen. Aber dann war sie auf ihn getroffen „Erleben2014“. Sie wusste nicht mal genau wie er es angestellt hatte, aber sie schrieben sich nach einigen Minuten Smalltalk über ihre erotischen Phantasien. Himmel, so kannte sie sich gar nicht.
Aber der letzte Sex war eine ganze Weile her und so langsam regte sich ihre Libido in den ungünstigsten Momenten. Tagsüber im Büro ließ sie manchmal die Gedanken deutlich abschweifen von ihren monotonen Aufgaben. Wenn ihr dank ihres Kopfkinos heiß wurde und sich erste Tropfen der Erregung zwischen ihren Schenkeln sammelten, kam grundsätzlich eine Kollegin vorbei mit einer Frage oder einer Tasse Kaffee, was sie bereits mehrfach völlig aus dem Konzept gebracht hatte. Bestimmt wurde sie auch noch rot in solchen Augenblicken. Ihre Kollegin Katrin hatte sie letzes Mal angegrinst als könne sie ihre Gedanken lesen. (Dabei war das natürlich Quatsch.) Es war wirklich an der Zeit etwas gegen diese dauerhafte Anspannung und für die immer wieder aufflackernden Bedürfnisse ihres Körpers zu tun.
Trotzdem hatte dieser Mann, der sich im Chat Thomas nannte, sie gehörig verwirrt. Nach dem Abend im Chat wollte sie eigentlich nichts mehr damit zu tun haben. Es war ihr peinlich und sie schämte sich dafür ihre so persönlichen Gedanken einem Fremden gegenüber preisgegeben zu haben. (Und dafür, dass es sie so verdammt angemacht hatte noch mehr…) Wenn da nur nicht ihre Neugier gewesen wäre! Nur zwei Tage später loggte sie sich erneut in ihrem Datingportal ein. Und: Er hatte ihr geschrieben. In ihrem Postfach blinkte eine neue Nachricht von Erleben2014. Sie konnte nicht anders und hatte sie geöffnet.
„Guten Abend Claire,
ich hoffe unser Chat neulich hat Dir ebenso gefallen wie mir.
Bitte mach‘ Dir keine Sorgen. Deine Geheimnisse sind gut
aufgehoben bei mir. Erregung kann einen ziemlich verwirren,
ich weiß. Vielleicht gewinnt Deine Neugier auf mich und auf neue
Erfahrungen die Oberhand über Deine Zweifel. Bitte denk‘ in Ruhe
darüber nach, ob Du unseren Kontakt gerne vertiefen möchtest.
Ich freue mich auf jede Deiner Zeilen.
Gruß Thomas
PS: Unsere Phantasien sind sich wirklich sehr ähnlich also gibt es keinen
Grund für falsche Scham.“
Sie sollte in Ruhe darüber nachdenken, ob sie ihm wieder schreiben wollte. Das musste sie auch. Irgend etwas hatte sie an ihrem ersten Abend im Chat bereits tief berührt. Natürlich war sie erregt gewesen. Fühlte sich ein wenig verrucht so etwas überhaupt zu tun. Ihre Gedanken über die Tastatur mit ihm zu teilen. Diesem Unbekannten. Bis auf sein Profil-Foto, das natürlich nicht wirklich ihn zeigen musste, wusste sie nichts von ihm. Außer die Dinge, die er preis gegeben hatte während seine Finger irgendwo in ihrer Stadt über seine eigene Tastatur gehuscht waren. Es war wie Ping Pong und sie waren beide gut darin gewesen. Er traf einen Nerv bei ihr. Der letzte Typ, den sie aus einem Club mitgenommen hatte war so mies im Bett gewesen, dass sie ihn besser dort gelassen hätte. Aber das war bestimmt ein halbes Jahr her und ihr Körper war hungrig nach Berührung und Nähe. Vermutlich müssten sie sich erstmal mit einem Quickie abreagieren bevor es ruhiger weiter gehen könnte.
Aber das ging doch nicht, dachte Claire. Männer zum „normalen“ Dating im Netz treffen war eine Sache aber so klar auf Sex aus? Das hatte sie so noch nie gemacht und: Er war ein Fremder. Aber verflucht, darin lag ja auch der Reiz, oder etwa nicht? Sie beide waren erwachsen und wollten mal wieder Sex. Aber nein, sie wollte so viel mehr… Mit welcher Genauigkeit seine geschriebenen Worte im Chatfenster ihre bisher nicht ausgesprochenen Wünsche getroffen hatten war ihr unheimlich. Leider war das auch unheimlich erregend gewesen. Verdammt.
Nach seiner Mail hatte es in ihr rumort. Das unbestimmte Gefühl in der Magengegend, Scham, Geilheit und Neugier hatten miteinander gekämpft. Sie hatte nicht wirklich einem Fremden geschrieben wie sie gern „genommen“ werden wollte? Oh Gott. Nein, so war sie doch gar nicht, wollte nicht so sein.
Vielleicht war es die Erinnerung an diese wirklich schlechte Nummer mit diesem Typen aus dem Club gewesen, sie war aus welchen Gründen auch immer über ihren ängstlichen Schatten gesprungen. Claire hatte Erleben2014 oder Thomas wieder geschrieben. Auch wenn sie sich Zeit gelassen hatte. Erst eine Woche später hatte sie vor ihrem Computer gesessen und ihre Antwort formuliert:
„Hallo Unbekannter,
denn das bist Du für mich noch immer.
Ich weiß nicht genau, was das mit uns war im Chat.
Aber ich wünsche mir mehr davon.
Trotzdem habe ich Angst vielleicht zu weit zu gehen.
Ich bin ein Kopfmensch, allein, dass
ich Dir jetzt schreibe passt nicht zu mir.
Doch ich sehne mich nicht nur nach Worten.
Ich denke, das weißt Du. Es rumort in mir und
meine Wünsche kämpfen gegen die Vernunft an.
Überzeuge mich davon, dass es sich lohnt,
sich darauf einzulassen – wohin es auch führen
kann.
Lilli_81″
Sie hatte nur mit ihrem Nickname unterschrieben. Er musste nicht ihren Namen kennen. Noch nicht.
Fortsetzung folgt!