Die Lust an der Fiktion oder Zuckerguss erlaubt?
Wenn ich erotische Geschichte lese oder eine meiner kleinen Sequenzen verfasse, stellt sich gern die Frage wie viel „Realitätssinn“ will ich beim Lesen oder auch beim Schreiben zulassen?
Mich selbst begeistert es wenn ich eine Geschichte lese wie „Schmerzherz“ (Vio Carpone), in der die Handlung eher bodenständig ist und sehr viel Fläche zur Identifikation mit den Figuren lässt. Aber auch „Schmachtfetzen“ mit Klischees aller Art können bei Gelegenheit wunderbar unterhalten wenn wir uns darauf einlassen wollen: Ein geheimer Sex-Zirkel in der High-Society oder der undurchsichtige aber dafür überirdisch schöne Hauptcharakter mit langen dunklen Haaren, einem Landsitz in wahlweise England oder Schottland und Augen, deren Farbe einfach sehr schwer zu beschreiben ist. Manchmal ist es doch genau dieser Zuckerguss, den wir wollen, den wir brauchen.
Eine Autorin, die mir immer wieder zu wohligen und auch unterhaltsamen Momenten beigetragen hat ist Natalie Rabengut. Ihre Reihe um „Das erste Date“, die inzwischen einige Bände umfasst, verzichtet meist auf die ganz schlimmen Klischees, ist in Deutschland angesiedelt und verzichtet auf Milliardäre aller Art. Aber ihre Figuren beschreibt sie detailliert und schlüssig in ihrem jeweiligen Charakter. Auch die Marotten der einzelnen Protagonisten wachsen einem ans Herz. Manchmal wird es etwas albern aber das ist trotzdem wunderbar, denn die Geschichten müssen doch auch nicht immer bierernst sein. (Und sollte einem statt dessen der Sinn nach BDSM Geschichten stehen, findet man ebenfalls etwas bei ihr.)
Dass es Bücher gibt, deren Anspruch es ist zu unterhalten, ist aber doch auch gar nicht verwerflich. Wenn solche Geschichten uns mehr als angenehme Momente verschaffen, haben sie doch jede Existenzberechtigung!
Warum hat wohl ein Unternehmen wie Disney so großen Erfolg? Doch nicht wegen des Realismus in ihren Geschichten! Es ist eben anders: Wir erwarten etwas Bestimmtes wenn wir einen Disney Film ansehen und bekommen auch genau das (meist eine „Heldenreise“). Manchmal ist doch so ein Happy End gar nicht so wild wenn die Geschichte vorher einem Freude gemacht hat, spannende oder aufregende Momente hatte und wir mit den Figuren – in diesem Falle des Filmes – mit fühlen konnten!
Dieser Kontrast zur Realität ist doch manchmal auch einfach notwendig, um mal wieder durchzuatmen und abzuschalten. Sich für einen Samstag – wenn es um ein Buch geht – oder auch nur einen Abend lang – bei einem Film – auszuklinken aus dem, was sonst so passiert.
Solche Erholungsphasen zum Luft holen brauchen wir doch und sind immer seltener bereit sie uns zu gönnen. Auch durch das Phänomen des „second Screen“ – wir teilen unsere Aufmerksamkeit immer häufiger auf mehrere Informationsquellen auf, insbesondere beim Fernsehen schreiben wir Nachrichten oder surfen im Netz. Diesbezüglich haben Bücher es natürlich besser als Filme. Wer liest, der liest gerade genau den Text, der vor seiner Nase ist. Wenigstens bei Romanen und Kurzgeschichten, denke ich, schaffen wir es noch uns nur auf das zu konzentrieren, was in dem gerade Gelesenen passiert.
Auch deshalb ziehe ich das geschriebene Wort den flackernden Bildern kurz vor dem Einschlafen vor. Man fokussiert sich auf das was man liest. Und sei es nur für wenige Seiten. Der Kopf beschäftigt sich dann nur mit den Buchstaben, die er zu Worten formt. Haben wir mehr Zeit, geschieht das Eintauchen in die Geschichte. Gibt es etwas Schöneres?
Vielleicht faszinieren mich daher Geschichten mit erotischer Komponente. Das Mitfiebern mit den Personen kann beim Lesen eines erotischen Texts eine Intensität erreichen, die (im Alltag) selten erlebte Emotionen auslöst. Hat der Autor oder die Autorin den richtigen Ton getroffen, so baut sich langsam echte, körperliche Spannung auf. Diese wird zu nicht selten zu einer Erregung, die nicht mehr danach fragt, ob das, was dort gerade zum Besten gegeben wird realistisch ist oder nicht. Es ist ein Zustand, der nur auf den Genuss der eigenen Lust ausgerichtet ist.
Oft auch auf ein Sehnen. Können wir nicht einen Bruchteil dessen, was in so vielen Büchern steht vielleicht selbst erleben? Dennoch denke ich, dass die meisten Leserinnen von stark überzeichneten Geschichten sich durchaus bewusst sind, dass Mr. Perfekt – sei er mit Landgut und walle-walle Mähne, sowie einer Schar von Dienern ausgestattet oder Selfmade Milliardär Ende zwanzig (inkl. Knackarsch) mit einem eigenen Hochhaus in New York sehr plakative Fiktionen sind. Trotzdem spricht doch nichts dagegen solche Fiktionen hin und wieder einfach zu genießen. Manchmal findet sich in anderen Teilen solcher Geschichten sogar noch etwas Tiefe – wenn es um die Entstehung der eigentlichen Beziehung geht zum Beispiel.
Wenn also die Autorin (oder der Autor) es schafft, dass wir mit den Figuren ihrer Geschichten mitfühlen, dann haben sie auf jeden Fall ihr Handwerk gelernt! Und: Sollte es mal zu albern oder langweilig werden, kann man ein Buch schließlich auch einfach weglegen (oder den E-Book Reader ausschalten). Der Kritiker hat es immer leicht. Ein Buch, das für einen „Schund“ ist kann für einen anderen Menschen als besonders schön oder aufregend empfunden werden.
Beim Schreiben werde ich wohl jedes Mal wieder selbst entscheiden müssen wie viel Realismus ich abbilden möchte und wie viel träumerisches, manchmal vielleicht naives Sehnen nach etwas Perfektem ich bereit bin zuzulassen und an Leserinnen und Leser weiter zu geben.
Ach ja: Wenn jemand mir erotische Bücher aus männlicher Feder empfehlen kann, würde ich mich sehr freuen!