Sexualität und Trauer
Wenn ein Mensch trauert, weil er einen geliebten Menschen verloren hat, wirkt sich das auf das Empfinden insgesamt aus. Der Verlust durch den Tod eines Menschen reißt ein Loch ins Leben. Man fühlt sich schutzlos, hilflos, zurück gelassen. Daneben holt einen die Realität ein. Dinge müssen organisiert werden und das in einem Schock-Zustand. Man muss hingegen aller Logik funktionieren. Der Umgang mit dem Tod in unserer Gesellschaft ist dabei auch nicht gerade hilfreich. Sterben und Tod werden – so lange sie einen nicht betreffen – im Sinne des Wortes totgeschwiegen. Verzweiflung gepaart mit dem Wissen „ich bin noch da“ bricht über einen herein. Man ist noch da, obwohl ein sehr wichtiger Mensch fehlt.
War dieser Mensch einer unserer Anker im Leben, ist die Verzweiflung und das Gefühl der Ohnmacht nichts an der Situation ändern zu können umso größer. In einer so extremen Situation tritt Sexualität vielleicht in den Hintergrund aber vielleicht nutzen wir vertrautes Handeln auch, um das selber weiterhin „da sein“ auszuhalten und um gehalten zu werden von einem anderen Menschen. Das übermächtige Gefühl etwas Lebensbejahendes tun zu müssen kann durch Sex befriedigt werden. Einen Moment Normalität im realen Chaos zu finden kann sehr wertvoll sein. Vielleicht fällt es dem Partner auch leichter uns in diesem Moment mit seinen Berührungen zu zeigen, dass er für einen da ist als lange Gespräche zu führen (wobei Zuhören auch genügen kann).
Nach Wochen geht es etwas besser. Nach Monaten „funktionieren“ wir oft nach außen hin wieder ganz gut. Aber dieses Gefühl der Leere, ausgelöst durch den Tod von beispielsweise Mutter oder Vater bleibt. Es bleibt im „Hintergrund“ bestehen.
Gefühlseindrücke, Empfindungen oder auch Ansätze zu Rollen-spielen, die uns früher erregt haben passen nicht mehr. Passen nicht, weil die Trauer unsere frühere Welt des Genießen Könnens oder auch sich fallen Lassens überlagert. Das kann zu Unverständnis führen. Der Partner versteht nicht warum man diese Erlebnisse, die früher für beide lustvoll waren nicht mehr annehmen kann. Besonders bei Spielarten, die mit Lust und Schmerz zu tun haben kann man in schwieriges Fahrwasser geraten. Denn nach dem übermäßigen seelischen Schmerz ist die alte Verbindung zwischen Schmerz und Lust vielleicht unterbrochen. Als sei das Maß an Schmerz, das ein Mensch ertragen kann und sollte voll. Was früher umgeformt werden konnte in lustvolles Empfinden, wird nur noch mit dem Schmerzempfinden aufgrund von Tod und Verlust gleichgesetzt und daher abgelehnt.
Wenn nach dem Tod des so wichtigen Menschen bereits ein oder zwei Jahre vergangen sind, wird es schwer beim Partner wiederholt um Verständnis zu bitten. Wenn beide einen Weg zur gemeinsamen Sexualität zurück suchen möchten, kann das mit viel Einfühlungsvermögen gelingen. Vorausgesetzt beide wünschen sich das. Momente in denen bekannte Empfindungen und Situationen, die Erregung auslösen auch wieder genossen werden können, werden mit der Zeit mehr. (Auch wenn Trauermomente immer wieder kommen.)
Oder man geht andere Wege, probiert Neues aus. Für BDSM Paare habe ich häufiger gelesen, dass Gelüste, die der (Lebens-)Partner nicht stillen kann bzw. möchte mit reinen Spielpartnern ausgelebt werden. Das ist auch eine Option – vorausgesetzt beide können mit dem „Auslagern“ eines Teiles ihrer Sexualität leben. Selbst stelle ich mir das schwierig vor. (Manche Partnerschaft übersteht das vielleicht auch nicht.)
Trauer prägt einen Menschen und sie verändert ihn. Wenn die Momente mehr werden in denen man zurück im Leben ist, wird es leichter auch den sexuellen Genuss für sich zurückerobern. Oder insgesamt: Das Genießen schöner Momente, obwohl ein Mensch für immer fehlt. Denn: Wir sind noch da!