Das Lächeln eines Fremden
Was für ein mieser Tag das bis vor einigen Minuten gewesen war! Aber in diesem Moment war das egal. Oder wenigstens wünschte sie sich das.
Sie würde sich jetzt nicht weiter ärgern, denn eine klitzekleine Kleinigkeit hatte ihr eben den Tag gerettet. Eine simple menschliche Geste von einem Menschen, den sie gar nicht wirklich kannte. Aber immer wenn sie sich in der Nachbarschaft über den Weg liefen, dann grüßte er sie und sie gab ein Nicken und ein Lächeln in seine Richtung zurück.
Heute hatte er in ihrem Post-Shop gesessen und erst als sie den Laden verlassen hatte, erkannten sie sich durch die Fensterscheibe. Da es wieder kalt geworden war trug er eine Mütze. Aber das hübsche und freundliche Gesicht entstellte auch ein solches Kleidungsstück nicht. Immerhin trug er sonst eine Glatze – ob zwangsweise oder freiwillig wusste sie nicht, aber das spielte keine Rolle. Seine Gesichtszüge waren ehrlich schön. Nicht niedlich – wie bei den Jungs bis Mitte zwanzig, auch nicht nur hübsch. Nein, dieses Gesicht faszinierte sie, da es wirklich schön war!
Ebenmäßige Züge, freundliche, dunkle Augen, ein Hauch von Bart, der immer perfekt gestylt war. Sie kannten sich vom Sehen her bereits viele Jahre aber nie hatte einer von ihnen versucht ein Gespräch zu beginnen. Aber ihre Phantasie beflügelte es immer wieder wenn sie ihn traf. Das Kopfkino darum herum machte einfach viel zu viel Spaß in diesem Fall, als dass sie es durch die Realität hätte ruinieren können.
Manchmal war es schon seltsam: Das freundliche Lächeln eines Fremden konnte ihr in miesen Augenblicken den Glauben an die Menschen zurück geben. Oder nur an die Männer. Dabei passierte eigentlich gar nicht viel:
Sie sahen sich an und begannen zeitgleich zu lächeln. Dann senkte sie den Blick, damit das Lächeln nicht zu lange dauerte. Vielleicht auch damit alles so blieb: Sich begegnen und dem anderen Menschen einen positiven Impuls zu senden, darum ging es. Freundlichkeit und Sympathie drückte sich in diesem Lächeln aus. Kleine Dinge eigentlich aber gleichzeitig groß wenn sie auf ein verletztes Herz treffen. Egal wo man sich die Verletzung eingehandelt hat. Diese Geste der Freundlichkeit sagt: Ich sehe Dich und freue mich darüber.
Wenn sie etwas weiter träumte, dann dachte sie, dass er sie vielleicht auch attraktiv fand. Das schmeichelte ihr natürlich.
Heute hatte sie nachdem sich ihre Augen begegnet waren den Blick gesenkt und musste grinsen bei dem Gedanken, dass er sie bereits einmal zu einer erotischen Geschichte inspiriert hatte. Ob er sich wohl davon geschmeichelt fühlen würde? Doch auch ohne dies zu wissen, würde sie in der Zukunft ihre Begegnungen mit dem kurzen Aufflackern von Freude und Sympathie in seinem Blick genießen und hoffte, ihm ging es in diesen jeweils wenigen Sekunden ebenso.