Die Gunst der Stunde (Lydia Winterberg) – Leseprobe
Der folgende Textauszug einer meiner Geschichten stammt aus dem E-Book Séduire:
Philipp ist nervös – wobei dieses Wort seinen Gemütszustand keineswegs ausreichend beschreibt, wie er denkt. Eine Mischung aus freudiger Erregung, Anspannung und einem kleinen bisschen Angst kriecht in ihm hoch, während er wiederholt auf seine Armbanduhr blickt ohne jedoch wirklich etwas zu sehen. Sein Blick geht in Richtung des Wohnzimmerfensters, aber auch dort nimmt er lediglich die Farben der anbrechenden Dämmerung wahr. Mit einer ordentlichen Verzögerung kommt plötzlich bei ihm an, was er eben auf der Uhr gesehen hat. Wieso will sie ihn glauben machen, es sei erst halb eins? Bei dem erneuten Blick aufs Zifferblatt fokussiert er endlich richtig – als sei er aus seiner Traumwelt wieder in der Realität angekommen. Nun kann er auch sehen, dass die Uhr falsch herum um sein Handgelenk liegt. Gratulation, Philipp, es ist noch gar nichts passiert und du bist schon meilenweit neben der Spur! Fehlte nur, dass er das eben laut gesagt hätte, statt es nur zu denken.
Er hat sich für heute Abend etwas Besonderes ausgedacht. Silvie war ehrlich sauer gewesen, als er vor vierzehn Tagen so spontan ihren Urlaub hatte absagen müssen. Aber es war einfach nicht zu ändern. Schließlich wäre auch er gerne mal wieder ganze 14 Tage raus gekommen aus dem zwar schönen aber auch anstrengenden Arbeitsalltag. Aber nachdem sein Küchenchef sich bei einer Radtour den rechten Arm gebrochen hatte, musste er selbst einspringen. Auch wenn er seit mehreren Jahren nur noch den organisatorischen Teil seines Restaurants betreut hatte, das Kochen hatte er natürlich nicht verlernt. Er musste Silvie versprechen es wieder gut zu machen. Der heutige Abend war aber aus noch einem anderen Grund ein besonderer! Wie schnell war nur die Zeit vergangen?
Er nimmt ein Foto vom Regal an der Wand, auf dem seine Freundin zwischen ihren beiden Elternteilen zu sehen ist. Ihre Mutter, eine außergewöhnliche Frau, die jeden Raum sofort dominiert und Menschen schnell für sich einnimmt. Aber sie kann einem auch den letzten Nerv rauben, wenn sie wieder einmal meint, ihrer Tochter gediegenen Unternehmer-Ehefrauen-Schick inklusive Rüschen-Blüschen aufschwatzen zu müssen. Ihr Vater hingegen lässt seine Tochter einfach sein wie sie ist, und nicht selten sind beide Verbündete im Geiste. Diesen beiden Menschen hat Philipp zu verdanken, dass Silvie in seinem Leben ist. Er stellt das Bild wieder auf dem Regal ab und atmet tief durch – kein guter Zeitpunkt, um auch noch melancholisch zu werden.
Es waren tatsächlich schon drei Jahre vergangen, seit Philipp seine Freundin Silvie bei einer Kreuzfahrt kennengelernt hatte. Rückblickend muss er schmunzeln – ausgerechnet eine Kreuzfahrt, das passte so gar nicht zu seiner unkonventionellen Freundin. Ihre Eltern hatten Silvie damals mitgenommen auf diese Reise, damit „das Kind mal was von der Welt sieht“ – hatten aber zuvor ordentliche Überredungsarbeit leisten müssen! Irgendwann hatte Silvie
nachgegeben, auch Ja und Amen gesagt zum Garderobenzuschuss ihrer Mutter. Zumindest letzteres war leichtfertig gewesen, denn Silvies Mutter meinte es zwar gut mit ihrer Tochter, aber ihr Geschmack war erschreckend konservativ. Für ihre Mutter war Silvies Kleidungsstil völliges Understatement – nie hätte sie selbst eine Jeans oder ein T-Shirt statt einer „ordentlichen“ Bluse getragen. Sie sorgte also für eine angemessene Reise-Ausstattung ihrer Tochter, und so nahm zu Philipps Glück das Unglück seinen Lauf…
Heute vor exakt drei Jahren also war Silvie mit tödlicher Verachtung für das abendliche Dinner in ein bodenlanges Abendkleid aus roséfarbenem Chiffon gestiegen. Da sie auf dem Schiff niemanden kannte und zu neunzig Prozent Leute im Alter ihrer Eltern – also jenseits der sechzig – mitfuhren, wähnte sie sich in Sicherheit. Doch die Crew und damit also auch Philipp als zweiter Küchenchef waren wesentlich jünger, denn der Job auf so einem Amüsierschiff war Schwerstarbeit. In seiner Pause lehnte Philipp über der Reling und schnappte frische Luft, völlig erschöpft nach beinahe zehn Stunden Arbeit in der Küche, als Silvie in einen rosa Alptraum gekleidet einige Meter neben ihm das Deck betrat.
Er hatte sich wirklich beherrschen wollen, konnte sich aber das Lachen kaum verkneifen. Sie war groß – sicher 1,75 m – und schlank, trug ihr braunes Haar sportlich kurz und wirkte derart verkleidet in diesem an ein Baiser erinnernden Wallewalle-Fetzen, dass es fast wehtat. Da sie darüber hinaus zu flache Schuhe gewählt hatte, trat sie alle paar Meter auf ihren Saum, der schon einen grauen Rand hatte. Aber dieser Anblick war nichts gegen den Ausdruck der
Wut in ihrem Gesicht, wenn sie wieder einmal im Stoff hängenblieb. Ihre Blicke waren sich begegnet, und ihre Wut hatte sich deutlich sichtbar in ihrem Gesicht gespiegelt als sie wahrnahm, dass sein Quasi-Lachen ihrer Erscheinung galt. „Ich hoffe, Sie amüsieren sich gut,“ hatte sie gesagt und ihn dabei aus ihren tiefbraunen Augen angefunkelt. „Danke, danke, ich kann nicht klagen“ hatte er nur erwidert und sich zur Seite gedreht, um wieder aufs Meer zu schauen und damit gleichzeitig sein Grinsen zu verstecken.
Doch das konnte sie nicht auf sich sitzen lassen – wie er heute wusste, hatte sie zu ihrem eigenen Leidwesen immer diesen Drang anderen alles erklären zu müssen: „Das Kleid war ein Geschenk, und ich hasse es inbrünstig. Leuten wie Ihnen, die sich das Lachen über solch einen Schlamassel nicht verkneifen können, wünsche ich, dass die Oma oder Tante zum Geburtstag einen von diesen kratzigen Pullovern strickt, die dann unbedingt auch getragen werden müssen, damit es kein familiäres Drama gibt.“ „Das ist aber nicht nett von Ihnen,“ hatte er bemerkt. „Dann bin ich eben nicht nett,“ hatte sie ihn angezischt. Gut, dass sie nicht wusste, wie sehr sie ins Schwarze getroffen hatte! Zwar hatte er sich inzwischen frei gestrampelt von derartigen Verpflichtungen, aber er fühlte sich sofort an die Häkelmützen seiner Lieblingstante erinnert. Erst mit Mitte dreißig war es ihm gelungen, ihr sehr vorsichtig beizubringen, dass er keine dieser „fröhlich bunten“ Häkeldinger mehr tragen würde.
Er hatte eine mitleidige Miene aufgesetzt, welcher aber die Ernsthaftigkeit fehlte. Aus seinen Augenwinkeln konnte er sehen, dass ihre Wut langsam verflog und sich ein freundlicherer Gesichtsausdruck Bahn brach. „Ich heiße Silvie, bin dreiunddreißig Jahre alt und mache eine Kreuzfahrt mit meinen Eltern. Welche Entschuldigung haben Sie für Ihre Anwesenheit auf diesem zugegebenermaßen luxuriösen Rentnerschiff?“ „Ich arbeite hier als zweiter Küchenchef. Zählt das als Entschuldigung?“ hatte er gefragt und sie einfach direkt angestrahlt. Dabei wurde seine besonders ebenmäßige obere Zahnreihe entblößt, was seine Wirkung nicht verfehlt hatte. Er wusste, dass er mit seinem Lächeln bei Frauen punkten konnte. Silvies Wut – auf sich selbst, weil sie sich nicht ausreichend gegen diesen Fummel zur Wehr gesetzt hatte – war schnell verraucht, und in Sekundenschnelle hatte sie sich auf die neue Situation eingestellt. Später hatte Silvie ihm erzählt, was ihr damals durch den Kopf gegangen war: Ein attraktiver Enddreißiger auf diesem Schiff, der sich mit ihr unterhielt und zu allem Überfluss auch noch kochen konnte – eine Fähigkeit, die ihr leider abging. Sie hatte das Essen auf dem Schiff als eines der Highlights auf dieser Reise empfunden. Dass in seiner Vorstellung das Wort „Chef“ vorgekommen war, hatte sie auch ziemlich angemacht. Silvie mochte strebsame Menschen,die gut waren in ihrer Arbeit weil sie ihr gerne nachgingen. Die Erwähnung seines verantwortungsvollen Jobs hatte ihr aber auch ein klein wenig Respekt eingeflößt, wie sie ihm gestanden hatte. Und dass er trotz Stressjob so entspannt gewirkt hatte, war ein weiterer Pluspunkt gewesen. Aber vermutlich wollte sie das so sehen, denn er hatte ganz sicher graue Augenringe vom Schlafmangel gehabt.
Sie meinte sogar, er wäre sehr gut als Gast durchgegangen. Seine Arbeitskleidung hatte sie anscheinend ebenso ausgeblendet wie die Müdigkeit um seine Augen. Während ihres Gesprächs war ihm aufgefallen, dass ihr peinlich war wenn sie etwas nicht sofort erfasst hatte. Wie zum Beispiel seine Zugehörigkeit zum Schiffspersonal. Sie schlug in solchen Momenten kurz die Augen nieder – um sie zu verdrehen und sich Pseudo-Blitzmerkerin zu schimpfen, wie er später lernen durfte. Aber er fand, das wirkte ehrlich und sehr sympathisch. Silvie war in den Flirt-Modus gewechselt und hatte ihm ihre charmante Seite gezeigt und ihren sehr erfrischenden Humor. Beide konnten nach einer halben Stunde gemeinsam über ihren modischen Ausnahmezustand lachen. Als er wieder an die Arbeit musste, um die Abläufe in Küche und Restaurants für den nächsten Tag zu besprechen, hatten sie sich für seinen freien Nachmittag wenige Tage später verabredet. Sie waren drei Tage nach ihrer Zufallsbegegnung gemeinsam in der Koje gelandet und hatten sich bis über beide Ohren ineinander verknallt.
Wenn das ein Reinfall gewesen wäre, würde er vielleicht immer noch auf einem der großen Schiffe arbeiten. Aber er wollte gern länger in Köln sein, bei Silvie. Noch bevor ihm klar war, dass es mit ihnen ernster werden würde, wussten beide, dass sie die Hände nicht voneinander lassen konnten. Zwischen ihnen existierte eine dauerhafte Spannung mit der Gefahr von Funkenflug bei gegenseitiger Berührung. Sobald sie im selben Raum waren wurde es beinahe gefährlich. Ihre Anwesenheit erregte ihn und ihr ging es nicht anders. Selbst wenn sie meist Jeans und T-Shirt trug, war ihm immer bewusst was sich darunter verbarg. Ihre festen, runden Brüste, die leichte Rundung ihrer Hüften und ihre wunderbar prallen Po-Backen. Letztere wurden selbst in ihren Jeans gut in Szene gesetzt. Wenn man die beiden auf der Straße sah, wie sie drei Jahre nach ihrer Zufallsbegegnung noch immer Händchen haltend und flirtend durch die Gegend liefen, hätte man auf zwei frisch Verliebte getippt. Sie kannten sich jetzt schon recht gut und ergänzten sich in ihren Seltsamkeiten und Marotten. Wie sehr liebte sie es wenn er für sie beide kochte, da sie sich noch immer weigerte sich selbst an den Herd zu stellen.
Dafür war er froh wenn sie alle handwerklichen Dinge übernahm, denn darin machte ihr kein Mann etwas vor. Kein Baumarkt war vor ihr sicher und ständig spukten neue Ideen in ihrem schönen, schlauen Kopf herum. Wie eine Offenbarung war es, eine Freundin gefunden zu haben, die selbst so viel Spaß an Sex hatte wie er und vielleicht noch mehr! Oft lagen sie im Bett und träumten gemeinsam von besonderen sexuellen Erlebnissen oder teilten ihre erotischen Phantasien miteinander. Das war ehrlich heiß. Es erregte ihn wenn sie ihm beschrieb, wie sie es gerne mit einem oder gar zwei anderen Männern tun würde während er dabei wäre. Beide wussten genau welche Knöpfe sie beim anderen drücken mussten, damit aus Erregung ein Höhepunkt wurde. Das Eine oder Andere hatten sie gemeinsam ausprobiert, aber auch manches in der Welt der Phantasie belassen, um sich diese nicht zu nehmen…
Die nur für Erwachsene geeignete Fortsetzung und zwölf weitere erotische Geschichten sind zu finden im E-Book: