Erwartungen an einen Fremden…
Oder warum Vorfreude manchmal die schönste Freude ist!
Menschen von heute pflegen in intimen Angelegenheiten manch seltsame Gewohnheiten. Nicht wenige sexuell (erfreulich) aufgeschlossene Männer und Frauen tummeln sich im Internet auf der Suche nach Gleichgesinnten. Mancher sucht nach Kontakten zu Menschen mit denen er erotische Szenarien hauptsächlich im Kopf genießt und schreibt gerne mit Unbekannten lange Mails mit intimen Inhalten. Andere Suchende tauschen gerne Bilder auf denen sie selbst nicht viel Kleidung am Leibe tragen oder völlig nackt sind. Eine Vorliebe für Bildertausch kann ich nicht mein Eigen nennen. Aber der Austausch über Sex allgemein und individuelle Vorlieben oder Phantasien im Besonderen kann mindestens interessant bis hin zu überaus erregend sein. Da aber Kontakte dieser Art häufig mit der Idee zustande kommen, sich auch im wahren Leben kennenzulernen, plädiere ich inzwischen dafür derartige Kontakte eher kurz zu halten.
In meinen Augen geht es also um Anbahnungsmails für einen persönlichen Kontakt. Da sich im Netz jeder in einschlägigen Foren mit seiner Wunschidentität ausstatten kann ist mir längerer reiner Online-Kontakt nicht (mehr) so geheuer. Natürlich hat es einen gewissen Reiz: Besonders als Frau genießt man den Vorteil, dass in Kontakt-Foren häufig großer Männerüberschuss herrscht. Wenn man dann noch ein anständig unanständiges Bild (ohne Gesicht!) von sich ins Profil nimmt ist Aufmerksamkeit und damit ein volles Postfach bereits ziemlich sicher. Im Grunde ist es fast wie Online-Dating, nur mit dem Vorteil, dass schon mal klar ist was das Gegenüber für Vorlieben hat im Bett. Manch einer findet gerade das abgeschmackt aber ist es nicht schön wenn man bestimmte Dinge nicht erklären muss? Und: Wer sich lieber geheimnisvoll gibt kann auch sein Profil recht oberflächlich gestalten. Ein völlig leeres Profil aber empfinde ich als lieblos.
Wenn Dir also jemand schreibt, der Dir gefallen könnte beginnt (ob man es möchte oder nicht) die Vorfreude – und mit ihr auch eine gewisse Erwartung. Einige Sätze, die vermuten lassen, dass man gesehen hat was im Profiltext des „Objekts der Begierde“ geschrieben steht, sind für den Anfang meist schon ganz schön! (Das gelingt leider nicht vielen Schreibern.)
Wenn der Ton einer Mail sympathisch ist, antworte ich viel lieber als wenn jemand schreibt: „Hey Süße, geile Fotos – gibt’s noch mehr davon?“ Da hat man eine Chance auf einen ersten Eindruck und schreibt so plattes Zeug? Warum nur?
Der gute Fall: Zwei Menschen schreiben sich Mails über das, was Ihnen im Kopf so vorschwebt. Bei diesen ersten Mails kann, wenn sie wirklich persönlich an einen gerichtet sind, eigentlich bereits die Vorfreude losgehen. Darauf einen neuen Menschen vielleicht in Kürze persönlich kennenzulernen, der Sex gegenüber genau so positiv eingestellt ist wie man selbst.
Der hoffentlich nicht „tabulos“ ist – das sollte kein Mensch wirklich sein – aber aufgeschlossen für vieles was zwei, drei oder vielleicht auch vier Menschen gemeinsam Spaß machen kann. Ein kleiner Flirt per Mail könnte bereits nach den ersten elektronischen Briefen beginnen. Gerade wenn ein (unbekannter) Mann die richtigen Worte wählt ist das Nahrung für allerschönstes Kopfkino. Wie ist er wohl so? Wie klingt seine Stimme? Wie sind seine Hände, seine Lippen, sein Schwanz? (Ja, auch über Letzeres wird phantasiert). Welche gemeinsame Erfahrung würde ihn besonders reizen? Mit jeder vielleicht auch nur kurzen Mail verrät man ein Detail über sich und erfährt noch ein Puzzleteil für die nächste nächtliche Phantasie oder das abendliche gedankliche Abschweifen im Bus auf dem Weg nach Hause. Das ist eine schöne Situation. Für den Moment. Die Aufmerksamkeit des eigentlich Fremden verursacht positive Impulse, vielleicht bereits Erregung. Aber die Mails, welche Du ihm zurückschreibst verraten viel von Dir und da kommt die „blöde“ Realität wieder ins Spiel. Dieser gefühlt sehr schöne Zustand des Austauschs mit einem Menschen, der über Vieles anscheinend genau denkt wie man selbst, kann sehr häufig nicht halten was er verspricht.
Es ist reizvoll aber auch riskant. Man wechselt gern vom Portal zu normalen E-Mails, ist ja viel bequemer! Dann: Nur eine Mail von der falschen als der „Flirt“-Adresse abgeschickt und ein Fremder kennt Deinen Namen. Damit hat er Dich meist recht schnell auch im Netz gefunden und kommt einem unangenehm nahe. So wollte man das doch gar nicht! Ich weiß noch genau, wie unschön das Gefühl war als ich sah, dass eine Mailbekanntschaft auf meiner Seite im damaligen StudiVZ gewesen ist. Das Gefühl war nicht gut. Gar nicht gut. Dabei war das „nur“ ein Mann aus einem stinknormalen Dating-Portal. Aber es passte mir nicht, dass er mir ohne mich zu fragen hinterher schnüffelte, gerade weil er meinen Namen nur wg. meines Versehens mit der Mailadresse hatte…
Auch wenn das Mailen mit Fremden und der Austausch über Phantasien im sexuellen Bereich sehr viel Spaß machen kann, halte ich es heute mit der Regel: Kurzer Mailkontakt und dann erst einmal ansehen. Den heißen Mail-Flirt persönlich ansehen an einem öffentlichen Ort. Erst wenn ich weiß, dass zwischen diesem noch immer Fremden und mir die Chemie stimmt kann ich diesen Kontakt auch weiterhin genießen.
Denn: Wie viele Menschen da draußen sind einem wirklich so sympathisch, dass wir ihnen körperlich näher kommen möchten? Wir möchten genießen, ausprobieren, schwelgen in unseren Phantasien aber doch lieber mit jemandem, dem wir bereits in die Augen gesehen haben und eine gewisse Spannung im Raum war – oder? Wenn ich weiß, dass es zwischen uns knistert macht das schriftliche Flirten gleich wieder viel mehr Spaß! Die Vorfreude, wenn er Dir schreibt wo er Dich küssen und berühren möchte wenn ihr euch wiederseht wird greifbar und es baut sich für meine Begriffe echte erotische Spannung auf!
Auch das mit dem Fremden, den ich nie gesehen habe fühlt sich echt an! Das ist ja die Krux des Ganzen. Natürlich bastelt sich der Kopf die nahezu perfekte erotische Phantasie daraus zurecht. Der Fremde kann noch nichts falsch gemacht haben, er hat noch keinen Bauchansatz oder Falten im Gesicht – das phantasiert man ja eher selten. Wenn das dann aber umschlägt oder man merkt beim ersten Treffen, dass es so gar nicht passt mit der Chemie ist das Gefühl schnell seltsam unbehaglich und oft folgt hier die Scham wegen all der Dinge, die man sich bereits geschrieben hatte. Menschlich wäre das in jedem Fall.